10

 

Wind und Regen hatten von Südwesten auf Westen gedreht und begannen allmählich nachzulassen. Die Schwalbe war ein Boot mit breitem Bug und so seetüchtig wie die Fischkutter, deren Routen sie folgte. Sie behauptete sich gut gegen Wellen und Wind inmitten der Finsternis, die auf dem Meer herrschte.

Byrum stand am Ruder. Seine Augen schmerzten. Es war eine Stunde vor Sonnenaufgang. Die Zeit seit Beginn ihrer Fahrt schien ihm unendlich langsam verstrichen zu sein. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Jeder Zentimeter seines Körpers tat ihm weh. Im schwachen Licht der Armaturen sah sein Gesicht verfallen aus.

Über der Wasserwüste, die sie umgab, lag tiefes Dunkel. Sie hatten die Küste bereits weit hinter sich gelassen. Clemi hatte sich neben Byrum auf einen der ledernen Sitze gesetzt. Sie hielt den Blick nach Osten gerichtet und wartete auf die Morgendämmerung. Ihr Haar war ordentlich gekämmt, und sie hatte sich das Gesicht gewaschen. Ihre Unterlippe war geschwollen. Sie sah zu Byrum hinüber, und ihre Blicke trafen sich.

»Wie lange brauchen wir bis Guayamas?« fragte sie leise.

Er zuckte die Achseln. »Das hängt vom Wetter ab. Der Wind läßt nach und kommt jetzt von achtern. Vielleicht hilft uns das.«

»Wie weit ist es denn noch?«

»Über fünfhundert Seemeilen«, erwiderte er. »Wir schaffen rund achtzehn die Stunde, aber wir dürfen nicht mit Höchstgeschwindigkeit fahren, weil wir sonst mit dem Sprit nicht reichen. Rechnen wir also nur zehn Meilen die Stunde. Wir werden demnach nicht vor übermorgen ankommen.«

»Und wie steht’s mit dem Benzin?«

Byrum wandte den Kopf. Rudge saß auf dem Achterdeck und sah zu ihm herüber. »Die Treibstofftanks waren voll, als wir losfuhren. Wir brauchen jetzt etwa zwanzig Liter im Schnitt. Dadurch kommt eine ganze Menge zusammen.«

»Die Tanks der Schwalbe sind nicht groß genug dafür, nicht wahr?«

»Nein«, erwiderte Byrum. »Sie reichen nicht ganz aus. Thayer hofft, daß wir Steve und Myra morgen einholen, solange wir noch genug Treibstoff haben.«

»Und wenn das nicht geschieht?«

»Rudge hat einen Ersatztank an Bord genommen. Da sind auch noch mal rund zweihundert Liter drin. Wir können es unter Umständen schaffen.«

»Du hast noch nie so eine weite Fahrt mit der Schwalbe gemacht, nicht wahr?«

»Nein.«

Das Boot hüpfte und schlingerte, während es von einem Wellental ins nächste schoß. Byrum behielt den Kompaß im Auge. Den Kurs konnte er nur nach Schätzungen bestimmen, wenn sich die Wolken nicht am kommenden Tag verzogen. Die Strömungen und Gezeiten im Golf waren ihm zwar vertraut, er kannte sie aber nicht gut genug, um mit ihrer Hilfe den Kurs zu bestimmen. Das ganze Unternehmen war ein großes Risiko. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß Thayer möglicherweise nicht ganz normal war. Die Wahrscheinlichkeit, daß es ihnen tatsächlich gelang, Steves Boot zu überholen, war sehr gering. Es würde schon fast ein Wunder sein, wenn sie das Schiff überhaupt sahen. Aber Thayer verließ sich anscheinend auf ein solches Wunder.

Rudge hatte nur noch einen Einwand gegen die Verfolgung zu Wasser erhoben. Er hatte angezweifelt, daß Byrum das wirkliche Ziel von Steve und Myra genannt hatte, und die Frage aufgeworfen, warum sie Byrum glauben sollten. Vielleicht fuhren sie nur auf eine Lüge hin los. Thayer hatte lange geschwiegen und Byrum und Clemi mit unbarmherzigem Blick angesehen.

»Wenn Myra nicht in Guayamas ist«, sagte er, »dann werden die beiden nie wieder Gelegenheit zu einer neuen Lüge haben.«

»Das würde uns auch nicht weiterbringen, denn das Geld wäre dann weg.«

»Er hat die Wahrheit gesagt«, erwiderte Thayer. »Nicht wahr, Byrum?«

»Ja.«

»Du weißt, was wir mit Clemi machen, wenn du uns angelogen hast?«

»Ja, das weiß ich.«

»Also bleibt es bei Guayamas?«

»Ja. Steve und Myra haben selbst gesagt, daß sie dorthin wollen.«

»Dann betet zu Gott, daß sie es sich nicht noch anders überlegen«, hatte Thayer das Gespräch beendet.

Jetzt saß er im Rollstuhl in der hinteren Kajüte, während Serena in der vorderen schlief. Thayer schien ebenfalls zu schlafen. Er hatte Rudge die Wache überlassen. Mit Hilfe von Krücken war er an Bord gekommen und hatte sich erstaunlich gelenkig gezeigt, als er seinen Krankenstuhl für diese kurze Zeitspanne verlassen hatte. Byrum wußte, daß eine Waffe unter der Decke lag, die seine Beine bedeckte. Auch Rudge war bewaffnet. Eine Luger steckte in seinem breiten Ledergürtel unter dem leichten Jackett. Byrum machte sich hinsichtlich eines Überfalles auf Rudge keine Illusionen. Vorläufig hatte ein solcher Versuch keinen Sinn.

Der Regen ließ nach, als der Morgen heraufdämmerte, doch der Seegang war immer noch heftig, und die hohen Wogen schleuderten das leichte Schiff hin und her. Byrum sah sich erneut nach Rudge um. Der große, kräftige Mann hatte die Augen geschlossen. Sein Mund zuckte. Er war seekrank, und Übelkeit würgte ihn. Aber er war doch nicht so krank, daß ein Angriff auf ihn Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Der Horizont im Osten wurde heller. Clemi legte ihre kühle Hand auf Byrums Finger, die das Steuerrad hielten.

»Pete?«

»Mach dir keine Sorgen. Noch ist nicht aller Tage Abend.«

»Du hast ihr Ziel nur meinetwegen verraten«, sagte sie leise. »Du darfst dir keine Vorwürfe deswegen machen, denn du wolltest mich ja nur schützen. Ich liebe dich, Pete.«

»Ich liebe dich auch.«

»Ja?« hauchte sie.

»Ich war wie vernagelt. Hatte einfach zu viel mit dem Pelikan zu tun und habe den Wald vor Bäumen nicht gesehen. Aber als ich dann wieder zur Marine mußte, da habe ich gemerkt, daß ich pausenlos an dich dachte. Verrückt, nicht? Und jetzt ist’s zu spät.«

»Nein«, sagte sie. »Es ist nicht zu spät. Ich bin noch nie so glücklich gewesen wie in diesem Augenblick.«

»Du weißt aber doch, was Rudge mit uns machen wird, nicht wahr? Ganz unabhängig davon, ob wir Steve und Myra finden oder nicht, werden Rudge und Thayer uns beseitigen.«

»Ja, ich weiß. Aber ich glaube noch nicht daran. Jetzt noch nicht«, flüsterte Clemi. Ihre Hand streichelte die seine. »Ich will jetzt nur an dich denken. An dich und mich, Pete.«

Byrum warf einen Blick über die Schulter zu Rudge, als dieser ein wütendes Stöhnen hören ließ. Rudge riß die Augen auf und erhob sich. Er kam schwankend auf Byrum zu. Sein Gesicht war kalkweiß unter der braunen Haut und von Schmerzen verzerrt. Er stützte sich mit der Hand an die Kajütenwand.

»Kannst du das verdammte Ding nicht auf geradem Kurs halten?«

»Wir müssen mit den Wellen gehen«, erwiderte Byrum ruhig.

»Du tust es absichtlich.« Rudges Stimme hatte einen maulenden Klang. »Du willst, daß ich seekrank werde. Serena konnte mal wieder nicht den Mund halten und hat dir gesagt, daß ich nicht schwimmen kann, was? Na, wenn schon. Verlaß dich drauf, mein Junge, ehe ich ersaufe, lege ich dich noch um. Aber ehe ich dich erledige, mache ich dein Mädel fertig. Und an der hängst du doch, was? Du kannst dich drauf verlassen, daß du gar nicht mögen wirst, was ich mit ihr mache. Also komm bloß nicht auf irgendwelche klugen Ideen. Halte das Schiff gerade, verstanden?«

»Ich tue, was ich kann«, sagte Byrum ruhig.

»Das genügt nicht.« Rudge wandte den Blick Clemi zu. »Und Sie gehen jetzt ‘runter in die Kajüte und machen Frühstück, verstanden? Ich habe eine Menge Lebensmittel an Bord gebracht, ehe wir losgefahren sind. Machen Sie Kaffee. Und was zu essen könnten wir auch gebrauchen.«

»Ja.« Clemi stand auf und schob sich an dem blonden Riesen vorbei. Sie verschwand in der großen Kajüte.

 

Ein trüber, grauer Tag war angebrochen. Das Meer umgab die Jacht als schwankende Wellenwüste voller Täler und Höhen. Der Wind ließ allmählich nach. Weit und breit war kein Schiff in Sicht. Von der Myra T. hatten sie noch keine Spur gesehen. Der Wind war kalt, da er aber an Heftigkeit nachgelassen hatte, lag die Schwalbe jetzt wesentlich ruhiger im Wasser.

Thayer war erwacht, als Clemi mit dem Frühstück fertig war.

Er hatte sich aus dem Rollstuhl auf die Bank geschwungen, die an der einen Längswand der großen Kajüte entlangging, und stützte sich mit seinen Krücken. Die kräftigen Kinnladen waren von Bartstoppeln blauschwarz verfärbt. Das Frühstück, das Clemi zubereitet hatte, bestand aus Kaffee und Eiern mit Schinken. Verwundert stellte Byrum fest, daß er hungrig war. Thayer rührte seinen Teller kaum an. Rudge aß mit Appetit, ließ dabei jedoch Byrum und Clemi nicht aus den Augen.

Serena war auch erwacht. In weißen Shorts und Rollkragenpullover kam sie aus der vorderen Kajüte. Das rote Haar wurde von einem weißen Band aus der Stirn gehalten. Sie warf Rudge einen spöttischen Blick zu, dann wandte sie sich an Byrum.

»Armer Pete, Sie müssen ja ganz erschöpft sein. Ich werde Sie eine Weile am Steuer ablösen.«

»Ist nicht nötig«, mischte sich Rudge ein.

»Aber er muß doch mal schlafen«, sagte Serena. »Ich kann genausogut wie er mit der Jacht umgehen. Ich muß doch nur den Kurs halten.« Sie verzog den breiten Mund zur Karikatur eines sanften Lächelns, als sie den Blick Byrum zuwandte. »Clemi kann ja auch mal steuern. Wir werden Byrums Hilfe sowieso später noch brauchen.«

Rudge sah ein, daß ihr Vorschlag vernünftig war, und gab nach. Byrum und Clemi wurden in die kleinere Kajüte gebracht und eingeschlossen. Serena kicherte, als sich der Schlüssel hinter ihnen im Schloß drehte. In der Koje, in der Serena geschlafen hatte, lag noch ihr Bettzeug. Die Kajüte war dunkel, aber Byrum wollte das Deckenlicht nicht anmachen. In dem schmalen Gang zwischen den Kojen trat Clemi dicht zu ihm. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und zog seinen Kopf zu sich herab. Ihre Lippen waren warm und fordernd und ein wenig ängstlich. Sie zitterte. Es war der erste richtige Kuß, den sie sich gaben, nachdem sie sich ihre Liebe gestanden hatten. Es war ein Kuß, wie ihn Byrum noch nie erlebt hatte.

»Ach Liebster... was soll bloß aus uns werden?« Ihre Stimme war nur ein Hauch. »Können wir denn gar nichts machen?«

Er drückte sie fest an sich. »Im Moment geht’s uns ja gut.«

»Aber sie werden uns umbringen. Wenn wir Steve und Myra erst eingeholt haben, brauchen sie dich nicht mehr. Mich haben sie ja sowieso nur mitgenommen, um einen Druck auf dich auszuüben. Wenn du irgendwie zu Rudges Revolver kommen könntest...«

»Setz dich, Clemi.« Er zog sie neben sich auf die unterste Koje. Sie zitterte am ganzen Leibe. Ihre Hände waren eiskalt, als sie die Finger um seine Wangen legte. Er küßte sie. »Ich bin körperlich in so schlechtem Zustand, daß ich es auf einen Kampf mit Rudge nicht ankommen lassen kann«, sagte er. »Ich war lange im Krankenhaus, und meine Wunden sind noch nicht völlig verheilt. Deshalb muß ich versuchen, ihn zu überlisten. Wenn ich ihn nicht irgendwie überrumpeln kann, sind wir erledigt. Er würde mich einfach über den Haufen schießen.«

»Vielleicht während er schläft...«

»Thayer hat auch eine Waffe. Es täuscht, wenn man meint, er würde nicht auf seine Umgebung achten.«

»Was können wir denn sonst tun?«

»Wachsam sein. Und abwarten«, erwiderte er. »Weiter nichts.«

»Und wenn wir Steve und Myra einholen?«

»Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß wir das tun.«

»Und wenn sie gar nicht nach Guayamas gefahren sind?«

Er drückte ihren Kopf sanft an seine Schulter. »Wir wollen uns nicht schon vorher verrückt machen, Clemi. Wir brauchen unsere Nerven noch.«

»Halt mich fest«, flüsterte sie. »Halt mich ganz fest.«

Er wußte, was sie dachte. Es konnte sein, daß diese armseligen Minuten des Alleinseins in der dunklen Kajüte die einzige Zweisamkeit sein würde, die sie in der kurzen Zeit ihres restlichen Lebens kennenlernen sollten. Er war sich ihrer Nähe sehr bewußt und begehrte sie mit der ganzen Kraft des Körpers und der Seele. Doch gleichzeitig nahmen seine Sinne das Klatschen der Wellen am Rumpf der Schwalbe wahr, und er horchte auf den regelmäßigen Ton ihrer beiden Motoren. An Deck ertönten Schritte, die sich dem Ruder näherten, dazu der langsame Rhythmus von Thayers Krücken, auf denen er sich mühsam vorwärtsschob.

»Pete«, flüsterte Clemi. »Liebster...«

Er war von ihrer Nähe gefangen. Er preßte sie an sich und wußte, daß er das Kostbarste und Schönste besaß, das die Welt ihm zu bieten hatte — eine Welt, die plötzlich voller Gefahr war.

 

Er schlief so fest, als habe man ihn betäubt. Das Gewicht der langen Stunden höchster physischer Anspannung, die hinter ihm lagen, ließ ihn in die Dunkelheit des Vergessens gleiten. Die Jacht schlingerte jetzt nur noch wenig. Der gleichmäßige Rhythmus der Motoren trieb sie langsam aber stetig ihrem Bestimmungsort zu.

Später entsann sich Byrum, von seiner Jugend geträumt zu haben. Sein Vater war von der Arbeit auf den Docks heimgekommen, müde und schmutzig, und er selbst hatte den Abend an der Straßenecke mit seinen Kameraden verbracht. Dann hatte er die Beerdigung seines Vaters erlebt, und auch im Wettbüro war er gewesen. Er träumte von dem Pokerspielzimmer, das er in New Haven unterhalten hatte, um die Studienkosten zu verdienen, und von den Anfängen des Pelikan, als jede Schwierigkeit ein Abenteuer und eine Herausforderung an seine Kräfte gewesen war — als er nur das eine Ziel hatte, das elegante Hotel mit einem seriösen Spielkasino auszustatten. Und dann träumte er von Adam Faheys Leiche.

Er fuhr aus dem Schlaf empor. Clemi lag neben ihm in der Koje. Sie hatte die kleinen Leder Vorhänge über die Bullaugen gezogen. Die Kajüte war dadurch in Dunkelheit gehüllt. Nur an den Rändern der Vorhänge drang das Sonnenlicht als silberner Streifen herein. Sonnenschein bedeutete besseres Wetter. Er wußte, daß er mindestens vier, vielleicht sogar sechs Stunden geschlafen hatte. Es dauerte eine Weile, bis er wieder klar denken konnte.

»Clemi...«

»Schlaf weiter, Schätzchen. Ruh dich aus.«

Das war nicht Clemis Stimme! Es war die von Serena.

Im ersten Moment begriff er nicht, wie es dazu gekommen war, daß er neben Serena lag. Sie waren allein in der Kajüte. Das Geräusch des Wassers und der Motoren machte es ihm unmöglich, an akustischen Merkmalen festzustellen, wo Thayer, Rudge und Clemi sich befanden.

»Lassen Sie mich vorbei«, sagte er noch schlaftrunken und richtete sich auf, um sich an ihr vorbei aus der Koje zu schieben.

Sie preßte sich eng an ihn. »Bleib liegen, Schätzchen, wir sind doch allein. Clemi ist am Steuer. Ich habe sie hingeschickt. Und Rudge schläft. Niemand kann uns stören. Es weiß auch niemand, daß ich mich zu dir geschlichen habe.«

»Lassen Sie mich vorbei«, wiederholte er.

»Du willst mich doch nicht wirklich allein lassen«, flüsterte sie. »Das willst du doch gar nicht.«

Jemand ging mit schweren Schritten übers Deck. Das konnte nur Rudge sein. Serena achtete nicht darauf. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf Byrum konzentriert. Mit wilden Augen starrte sie ihn an. Sie waren weit aufgerissen, und in ihren Tiefen erwachte der Zorn.

»So wie du hat mich noch niemand behandelt«, sagte sie.

»Ich bin Ihnen doch völlig egal«, sagte Byrum. »Sie hassen mich sogar. Am liebsten würden Sie dabei zusehen, wie man mich umbringt, und vielleicht werden Sie dieses Vergnügen sogar bald haben. Was wollen Sie also von mir? Suchen Sie einfach einen neuen Nervenkitzel?«

»Nein. Ich habe nur gedacht... Sie und ich, wir haben vieles gemeinsam.«

Byrum erwiderte nichts.

»Sie waren auch immer allein«, fuhr sie leise fort. »Genau wie ich. Und wir haben die gleichen Ziele.«

»Zum Beispiel?«

»Sie werden Rudge umbringen«, sagte sie in so gleichmütigem Ton, als spräche sie übers Wetter. »Al muß ihn loswerden. Und Sie werden uns helfen.«

Byrum schwieg noch immer.

»Ich habe mit meinem Bruder darüber gesprochen — heute morgen, als Clemi bei Ihnen in der Kajüte war. Ich habe Rudge gezeigt, wie man nach dem Kompaß steuert, und dann haben wir in der hinteren Kajüte alles ungestört besprechen können. Al und ich wissen, daß Rudge Oswanda und das ganze Gebiet, das jetzt Al gehört, übernehmen soll. Und wir kennen Rudge. Wenn wir Steve und Myra nicht das Geld abjagen, wird Rudge uns über die Klinge springen lassen. Das ist Ihnen doch klar, nicht wahr?«

»Ja«, erwiderte Byrum.

Sie stützte sich auf die Ellbogen, holte tief Luft und sagte lächelnd:

»Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, daß es für uns alle nur einen sicheren Ausweg gibt — außer wenn Sie zum Oberstaatsanwalt gehen und sich selbst die Kehle durchschneiden wollen. Al ist bereit, Ihnen eine Chance zu geben. Er will nur seine Ruhe — weiter nichts. Und außerdem will er noch beweisen, daß er mit jeder Schwierigkeit fertig wird — ganz allein und ohne unliebsames Aufsehen. Er will das Geld zurückhaben, das Dulaney gestohlen hat, weil ihn sonst die Direktion fertigmacht. Das verstellen Sie doch, nicht wahr? Rudge können wir nicht über den Weg trauen. Wir müssen ihn beseitigen und außerdem Steve Dulaney das Geld wieder abnehmen. Deshalb hatte Al beschlossen, daß wir mit der Jacht fahren. Auf einem Schiff ist Rudge nicht viel wert. Er hat Angst vor dem Wasser. Wir werden leicht mit ihm fertig werden, wenn es soweit ist.«

Byrum sah sie an. Er war zwar voller Mißtrauen, aber was sie sagte, klang glaubhaft.

»Und was habe ich dabei zu tun?« fragte er.

»Al ist bereit, Steve laufen zu lassen, wenn er ihm das Geld abgenommen hat. Sie könnten mit Clemi in Mexiko bleiben, wenn Sie wollen. Die Sache mit dem Mord an Fahey wird Al für euch ausbügeln, damit ihr nicht die Polizei auf dem Hals habt. Al selbst wird euch auch keine Schwierigkeiten mehr machen. Außerdem gibt er Ihnen sogar noch fünfzigtausend Dollar, damit ihr quitt seid.«

»Und dafür bekommt er den Pelikan ganz?«

»Natürlich.«

»Sie sind deshalb hergekommen, weil Sie mir dieses Angebot machen wollten?«

»Das war einer der Gründe. Ich weiß, daß Sie mich nicht leiden können, aber das kommt nur daher, weil Sie mich nicht gut genug kennen. Sie haben bestimmt noch nie daran gedacht, was ich für ein Leben führen mußte — als die Schwester von Alton Thayer. Nicht wahr, darüber haben Sie nie nachgedacht?«

»Warum sollte ich auch. Sie scheinen mit Ihrem Leben doch recht zufrieden zu sein.«

»Aber das bin ich nicht! Ich hasse es — dieses Leben. Ich hasse Oswanda. Es ist ein stumpfsinniges, gräßliches Kaff. Wenn ich nicht so feige wäre, hätte ich Al schon längst umgebracht. Das ist der einzige Ausweg für mich.«

»Und was würden Sie dann machen?«

Sie verschränkte die Finger im Genick und ließ sich zurücksinken. »Vor allem will ich weg von Oswanda. Nach New York vielleicht — oder noch besser nach Paris. Da gehöre ich hin. Aber Al läßt mich nicht gehen. Ach, ich möchte ihn schon so lange töten. Aber ich habe nicht den Mut dazu.«

»Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Serena?« fragte Byrum.

Sie lächelte. »Daß Sie Rudge umbringen, Schätzchen.«

»Und dann Ihren Bruder?«

Sie fuhr sich lächelnd mit der Zunge über die Lippen. »Das werden wir dann schon sehen.«

»Nein. Das will ich gleich wissen. Soll ich ihn auch umbringen?«

Sie dachte über seine Frage nach — wie ein Kind, das überlegt, was es als nächstes spielen soll. »Ja«, sagte sie dann, »ihn auch.«

»Und das war der eigentliche Grund Ihres Besuches bei mir, nicht wahr?«

»Petelein, Sie sind wirklich brutal«, erwiderte sie schmollend.

»Den eigenen Bruder umzubringen ist nicht brutal«, sagte Byrum hart. »Und jetzt hau ab — aber schnell.«

Einen Augenblick schien sie vor Überraschung den Atem anzuhalten. Seine Fragen hatten die Annahme in ihr entstehen lassen, daß er bereit sei, ihren Vorschlag anzunehmen.

Die Schwalbe schlingerte. Auf Deck ertönte ein Ruf, und das Motorengeräusch änderte sich. Jemand hatte die Maschinen auf Volldampf voraus gestellt, und das Pochen der Motoren schwoll zu brüllendem Lärm an. Der Bug stieg hoch aus den Wellen, die Sclnvalbe machte eine Wendung und schoß auf neuem Kurs davon.

Serena ließ sich aus der Koje gleiten. Ihr hageres Gesicht war unbewegt.

»Die Antwort ist also nein?« sagte sie.

»Stimmt. Zu jedem Punkt.«

Sie lächelte. »Ich freue mich schon darauf, dich sterben zu sehen, Schätzchen.«

Lautlos öffnete sie die Tür und ging an Deck.